Rund ein Drittel der Eltern – so eine deutsche Vorlesestudie aus dem Jahr 2020 – liest seinen Kindern nie bis selten vor. In Osterreich dürfte die Lage ahnlich aussehen. Und das, obwohl Vorlesen als Grundlage fur eine gute Lesekompetenz gilt (24 Prozent der Jugendlichen in Osterreich würden laut einer PISA-Studie mit Schwerpunkt zur Lesekompetenz als Risikoschuler ausgewiesen). Nach wie vor verfügen 17,1 Prozent der 16- bis 65-Jahrigen hierzulande nur über eine niedrige Lesekompetenz. Und das, obwohl Lesen
„unumganglich dafur ist sich die Welt zu erschließen, sich im Alltag zu orientieren und die verschiedenen Informations- und Kommunikationsmedien bewusst zu nutzen“, ist man beim osterreichischen Buchclub, Österreichs größte Non-Profit-Organisation zur Leseforderung, überzeugt. Es gilt: Kindern, denen viel vorgelesen wurde und wird, fallt das Lesen- und Schreiben- Lernen in der Regel leichter. „Wenn alle Eltern ihren Kindern jeden Tag 15 Minuten vorlesen, dann ist schon ein großer Schritt in Richtung Leseförderung getan“, betont Buchclub- Geschaftsführerin Lydia Grunzweig.

Doch selbst für wen das abendliche Vorlesen zur Routine gehört, hat es nicht immer leicht, den richtigen Lesestoff zu finden. Seien es Väter, die in Büchern gemeinsam mit ihren Kindern Abenteuern erleben, oder starke weibliche Frauen – nicht immer ist das Angebot am Buchmarkt befriedigend. Eine Lücke, die die 2017 veröffentlichten „Good Night Stories for Rebel Girls“ zu füllen wussten. Das mittels Kickstarter finanzierte und mittlerweile zum (in 50 Sprachen übersetzten) Bestseller avancierte Buch der beiden Autorinnen Elena Favilli und Francesca Cavallo bringt Kindern die Lebensgeschichten von Frauen quer durch die Geschichte von rund um den Erball näher. Ob für die Wissenschaftsgeschichte bedeutende historische Frauenpersönlichkeiten wie Marie Curie und Florence Nightingale oder Frauen, die in unserer aktuellen Gesellschaft viel erreicht haben – darunter Michelle Obama oder Serena Williams (aber auch Persönlichkeiten wie Coy Mathis, die als Buben geboren wurde) – finden in den Gute Nacht Geschichten Eingang. Der Veröffentlichung vorausgegangen war eine längere Recherche. Ausgeforscht wurden auch Frauen, die im Laufe der Zeit von der Geschichtsschreibung vergessen wurden. Als Beispiel wäre die Geschichte von Virginia Hall zu nennen. Die gebürtige US-Amerikanerin, die seit einem Jagdunfall ein Holzbein hatte, betätigte sich erfolgreich als Spionin im Zweiten Weltkrieg.

Ebenfalls einen starken Auftritt im Rebel-Girls-Universum hat die Mathematikerin Ada Lovelace, der mittlerweile sogar ein eigenes Buch gewidmet wurde. Lovelace war das einzige eheliche Kind von Lord Byron und erhielt früh entgegen den Konvenktionen der Zeit und des Engagements der Mutter eine naturwissenschaftliche Ausbildung. Leidenschaftlich beschäftigte sie sich unter anderem mit der Frage welche Probleme mit einer analytischen Maschine (wie die des italienischen Mathematikers Luigi Menabrea) zu lösen wären und wie die Operationen organisiert sein müssten. Als in den 60er-Jahren die ersten leistungsfähigen Computer ihren Betrieb aufnahmen, erinnerte man sich ihrer und würdigte sie als „erste Programmiererin“. Elisabetta Stoinich illustrierte sie für Rebel Girls in fantasievoller historischer Tracht mit einem Tablet in der Hand. Insgesamt 60 weibliche Illustratorinnen aus verschiedenen Teilen der Erde steuerten Illustrationen für die im Buch vorgestellten Frauenpersönlichkeiten bei.

Ausgewählt wurden Charaktere und Illustrationen auch für das neue im Kosmos Verlag erschienene Spiel zum Buch. In der Spielversion des Buches gilt es mittels Hinweiskarten, auf denen verschiedene Symbole abgebildet sind, den anderen Mitspieler*innen eine der aufgedeckten Pionierinnen zu beschreiben. Geraten wird, dem aktuellen Trend zum Kooperationsspiel entsprechend, gemeinsam. Was „Rebel Girls. Das Spiel“ leider fehlt, ist eine nähere Beschreibung der zu erratenden 40 Frauen. Anders ausgedrückt ohne das Buch, das dem Spiel als Vorlage diente (es finden sich Angaben zur passenden Seitenzahl im Buch), gestaltet sich das Spielen weniger lehrreich. Wer also nicht ständig in Wikipedia oder auf anderen Internetseiten nachgoogeln möchte, sollte sich auf jeden Fall das Buch zulegen oder am besten gleich beides gemeinsam verschenken, denn mehr als eine nette Ergänzung zum Buch ist das Spiel leider nicht. Auf der anderen Seite, versteht es die Spielvariante der Rebel Girls spielerisch zum Lesen aufzufordern – und dieser Beitrag kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn wer Spiele spielt, benötigt (ab einem gewissen Alter) neben Lesekompetenz eine Vielzahl von Fähigkeiten. Vor allem die kognitive Entwicklung – das Vermögen des Menschen Signale aus der Umwelt wahrzunehmen – wird durch das Spielen gefördert. Spielerisch erlernen die Kinder sich in der sie umgebenen Umwelt zurecht zu finden und dabei die eigene Identität und Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Gelernt wird aus den gewonnen Erfahrungen – und das im gemeinsamen Spiel mit Erwachsenen oder Gleichaltrigen besonders gut. Spielen und Lesen kann also für die Entwicklung als unerlässlich angesehen werden. Vor allem wenn es darum geht, diese Welt gerechter zu gestalten, braucht es kluge Bücher und Spiele, die auf gesellschaftlich brennende Fragen reagieren.

Elena Favilli und Francesca Cavallo: Good Night Stories for Rebel Girls: 100 außergewöhnliche Frauen. Carl Hanser Verlag GmbH & Co, München: 2017. 224 Seiten. 24.67 Euro

Rebel Girls. Das Spiel der außergewöhnlichen Frauen.
erschienen im Kosmos Verlag
Alter: ab 8 Jahren
Spieldauer: 20 Minuten
Anzahl der Spieler: 2+
Preis: 24,99 Euro
www.kosmos.de

Geschrieben von Sandra Schäfer